Was ist eigentlich Geld?
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Was ist eigentlich Geld?

Ein Gespräch über Geld. Am Paradeplatz in Zürich, dem Schweizer Hauptort der Bankenwelt.

Das Gespräch ist im Oktober 2024 in der Ausgabe Nr. 20 erschienen. Melchior erscheint zweimal im Jahr. Bestell dir hier die aktuelle Melchior Ausgabe zum Kennenlernen.

Klarsicht in Wirtschaftsfragen. Mit dieser Eigenschaft bezeichnet sich Adriel Jost auf seiner Homepage. Der als Berater und Referent tätige Ökonom wird immer wieder von Medien beigezogen, um über komplexe Themen wie Geldsysteme und Finanzmärkte zu sprechen, oder Ereignisse aus der Welt der Banken einzuordnen. Auch Melchior wollte etwas besser verstehen, wie das genau funktioniert mit dem lieben Geld. Und mit seinen Systemen. Ein Gespräch über Vertrauen.

Herr Jost, wir beginnen mit einer schlichten Frage: Was bedeutet Ihnen persönlich Geld?

Adriel Jost (Denkt nach)

Schweizer reden nicht gerne über Geld, oder?

Das mag sein. (Lacht) Im Ernst: Die Antwort auf Ihre Frage wird mich für dieses Interview potenziell gleich disqualifizieren. Denn Geld bedeutet mir persönlich eigentlich nicht all zu viel.

Das erstaunt mich jetzt allerdings, immerhin beraten Sie verschiedene Stakeholder im Finanzbereich und gelten als ausgewiesener Experte für Ökonomie.

Der Antrieb, aus meinem Geld möglichst viel zusätzliches Geld zu erwirtschaften, besteht bei mir nicht. Das war nie meine Motivation, mich in dieses Berufssegment zu begeben. Mehr interessiert haben mich immer schon die größeren Zusammenhänge. Denn Geld hat die Eigenschaft, ganz unterschiedliche Bereiche des alltäglichen Lebens zusammenzubringen. Vom persönlichen Schicksal, bis hin zu weltumspannenden Entwicklungen. Neben der rein ökonomischen Dimension hat der Umgang mit Geld auch soziologische, philosophische, theologische und viele weitere Dimensionen. Alle diese Fragen faszinieren mich.

Damit haben wir jetzt bereits eine weite, spannende Themenwelt erreicht. Doch zuerst ganz grundsätzlich: Was ist Geld eigentlich?

Weil Geld so wenig fassbar ist, definiert man es im Normalfall über seine Funktionen, über das, was man mit Geld alles tun kann. Drei Eigenschaften werden klassischerweise genannt. Erstens muss man mit Geld natürlich zahlen können. Zweitens soll Geld den Vergleich ermöglichen, wie teuer verschiedene Güter und Dienstleistungen sind. Die dritte Eigenschaft enthält eine zeitliche Komponente, Geld muss nämlich auch eine Wertaufbewahrung ermöglichen. Denn ich will ja, was ich heute besitze, nicht bereits heute wieder ausgeben, sondern erst morgen, in einer Woche oder gar erst in zehn Jahren. Wenn ich also Geld aufbewahre, sollte es derart stabil konstituiert sein, dass es in zehn Jahren gleich viel Wert aufweist.

Die drei Eigenschaften, die das Geld definieren, sind also Fähigkeit zur Bezahlung, Fähigkeit zur Vergleichbarkeit und Fähigkeit zur Wertaufbewahrung.

Richtig. Wenn etwas diese drei Eigenschaften und Funktionen ausweist, spricht man von Geld. Im Umkehrschluss wird klar, dass die Form von Geld durchaus verschieden sein kann. Unterschiedlichste Objekte können in diesem Sinn Geld sein.

Wenn man diese Fähigkeiten näher betrachtet, sieht man eines: Geld hat insbesondere die Funktion von Stellvertretung.

In gewisser Weise, ja. Der klassische Tauschhandel, in dem zwei gleichwertige Objekte ausgetauscht werden, hat den immensen Nachteil, dass er ein beidseitiges und gleichzeitiges Interesse am Weggeben des einen und dem Annehmen des anderen Objektes voraussetzt. Ist das eine oder andere nicht vorhanden, kann der Tauschhandel nicht für alle Beteiligten zufriedenstellend sein. Geld kann dieses Dilemma lösen, indem es als neutraler Träger Wert ausgleichen kann und dadurch einen größeren Markt ermöglicht. In einer Wirtschaft, die auf Arbeitsteilung basiert, also wenn nicht jeder alles für sich selbst produziert, sondern sich Einzelne auf einem Gebiet spezialisieren und andere auf einem anderen, braucht es einen Träger, der den Austausch zwischen diesen Dienstleistungen und Gütern ermöglicht.

“Unser System setzt voraus, dass Banken ihre Privilegien nicht für sich ausnützen.”

ADRIEL JOST

Soziologisch gesehen ist dann Geld zuerst etwas, das Menschen zusammenbringt und dadurch Beziehung in wirtschaftlicher, aber vielleicht auch anderweitiger Art ermöglicht?

Ja, richtig. Gewisse Leute reden auch von Geld als einem soziologischen Konstrukt. Dies ist nicht mein Expertengebiet, aber soziologisch gesprochen kann Geld ein Zusammenleben, ein Zusammenarbeiten und letztlich eine Gesellschaft definieren.

Was sind die Bedingungen, dass etwas in diesem Sinne als Geld funktioniert?

Geld muss etwas sein, das man nicht ohne Weiteres selber herstellen kann und das nicht in unbegrenzter Zahl frei zugänglich ist.

Selbstgebasteltes Geld funktioniert also nicht?

Da kann immerhin schon Arbeit dahinterstecken, was durchaus einen gewissen Wert darstellt. Aber Sand vom Meeresstrand, für alle frei zugänglich und vorhanden in Unmengen, funktioniert natürlich nicht. Historisch wurden als Zahlungsmittel auch schon seltene Muscheln gebraucht. Und natürlich seltene Edelmetalle wie Gold oder Silber.

In dieser Logik muss ein Zahlungsmittel also selbst den ihm zugesprochenen Wert besitzen.

Man spricht dann von Warengeld. Das ist aber nur eine Art von Geld. Die andere ist, dass Geld häufig auch durch Schuld entsteht. Wenn ich also jemandem 100 Dollar ausgeliehen und dies in einem Schuldpapier festgehalten habe, kann ich dieses Papier ja jemand anderem übertragen. Somit erhält dieser einmal die 100 Dollar zurück. Praktischerweise kann ich also mit einem leichten Papier bezahlen und muss nicht schweres Gold oder Steine austauschen. In diesem Fall hat das Zahlungsmittel den Wert aber nicht mehr in sich selbst, sondern in einem Versprechen. Geld, das in sich keinen inneren Wert besitzt, nennt man Fiatgeld. Da sind wir schon viel näher bei dem, wie das heutige Geldsystem hauptsächlich funktioniert. Als Geld wird in unserer Gesellschaft nämlich in erster Linie ja die Bankguthaben benutzt.

Womit wir bei der wichtigen Rolle von Banken sind. Diese arbeiten ganz zentral mit der Schaffung von Schuld und den damit einhergehenden Versprechen. Man kriegt von ihnen Geld vorgeschossen, muss aber diese Kredite wieder zurückbezahlen.

Und bei jeder Kreditvergabe wird neues Geld geschaffen. Unser heutiges Geld wird nicht vom Staat oder der Zentralbank geschaffen, sondern von Geschäftsbanken – natürlich unter Einhaltung gewisser Regulierungen. Banken entscheiden, ob jemand als Kreditnehmer kreditwürdig ist, ob er das Potenzial hat, die entstehende Schuld zu begleichen, und überweisen ihm, falls dies der Fall ist, das Geld.

Der Kreditnehmer braucht eine bereits faktisch vorhandene Absicherung im Gegenwert oder eine potenzielle Geschäftsidee, die mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit Erfolg verspricht, dass dieses Versprechen als Teilabsicherung genügt. Zweites beinhaltet eine gewisse Portion an Risiko.

Genau. Aber das Geld ist geschaffen und bleibt geschaffen, auch dann, wenn es nicht wieder zurückbezahlt wird. Wird beispielsweise ein Hypothekarkredit über eine Million vergeben, existiert diese Million, mit ihr kann gearbeitet werden, sie ist im Umlauf. Geld wird erst wieder reduziert, wenn Kredite zurückgezahlt werden und gleichzeitig keine neuen Kredite ausgegeben werden.

Was eher selten passiert.

Zurückbezahlt wird natürlich schon. Aber ja, es werden dann auch wieder neue Kredite geschaffen. Es gibt so insgesamt immer mehr Geld im Umlauf.

Hier gibt es ein oft gehörtes Missverständnis. Viele Leute denken: Ich bringe mein Geld zur Bank und diese gibt es dann weiter, arbeitet damit.

Das ist aber nicht der Fall. Denn die Bank kann Kredite vergeben, ohne dass sie dieses Geld zuerst beschaffen muss, zum Beispiel durch Einlagen von Sparern. Sie schafft das Geld vielmehr sozusagen aus dem Nichts. Das erleichtert das Ganze natürlich kurzfristig, stellt aber längerfristig ein Risiko dar. Denn dieses System setzt voraus, dass Banken ihre Privilegien nicht für sich ausnützen.

Banken können, wie wir kürzlich im Fall der Schweizer Großbank Credit Suisse sahen, auf Absicherungen durch staatliche Interventionen rechnen. Sie werden also eigentlich durch den Staat gestützt, im Notfall auch durch alle Böden hindurch, Stichwort „too big to fail.

Genau, ein Staat hat Interesse an sicherem Geld und damit auch an sicheren Banken. Der Staat kann durch Einlagenversicherungen versprechen, dass das Geld auf dem Bankkonto sicher ist. Oder er garantiert die Sicherheit des Kontoguthabens in einer Krise, was wir kürzlich in der Schweiz und in den USA sahen. Diese staatliche Absicherung strahlt Vertrauen aus. Je nach Staat und Volkswirtschaft ist das Vertrauen größer oder kleiner. Doch diese Vertrauensgrundlage, die ein Nationalstaat einer Bank gibt, kann auch gefährlich werden, weil sie falsche Anreize schafft. Alle können von einer Bank profitieren, die großzügig Kredite verteilt und damit Geld schafft. Auch der Staat. Es wäre von einem Bankmanager zu viel verlangt, dass er derjenige ist, der auf die Bremse steht und gewissermaßen auf Spielverderber macht. Umso mehr, wenn auch noch sein persönlicher Bonus davon abhängt. Deswegen sichert der Staat die Banken nicht nur ab, sondern reguliert und überwacht sie auch. Es versteht sich aber von alleine, dass wir hier insgesamt von einem komplexen Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen stehen.

Und trotzdem erachten viele dieses System als gut. Warum?

Es ist wichtig zu unterscheiden: Wie wir gesehen haben, ist Geld eine Grundlage für die Arbeitsteilung und die Marktwirtschaft. Jede und jeder kann machen, was sie oder er wirklich gut kann, was sie oder er besser machen kann als andere. So entstehen Spezialisierungen und Innovationen, daraus wiederum entspringt eine Wohlfahrt, die man sonst nicht ansatzweise ermöglichen könnte. All das hat zu einem enormen Wohlstand geführt. Ich denke da nicht in erster Linie an Jachten oder andere Luxusgüter, sondern an Errungenschaften wie zum Beispiel das Gesundheitswesen, das wir uns nur dank hohem Wohlstand leisten können.

Weltweit können aber doch nicht alle von diesem Wohlstand profitieren.

Auch wenn wir weltweit schauen, geht es den Menschen in den Ländern, die an der globalen Arbeitsteilung teilnehmen, großmehrheitlich besser.

Das ist die altbekannte Lobeshymne auf den Kapitalismus.

Empirisch ist es sehr klar, dass all jene Länder mit einer kapitalistischen, marktwirtschaftlichen Grundordnung besser dastehen als andere.

Es gibt viele Leute, die die Rolle der Banken kritisch sehen.

Gerade aus marktwirtschaftlicher Sicht haben sie recht! Banken profitieren von unserem halbstaatlichen Geldsystem, das selbst nur beschränkt marktwirtschaftlich organisiert ist. Unser Geldsystem darf nicht mit Marktwirtschaft oder Kapitalismus verwechselt werden. Das Geldsystem lässt sich auch aus liberaler Sicht kritisieren. So besagt das sogenannte Cantillon-Prinzip, dass jene, die nahe bei der Geldschaffung sind, auch jene sind, die besonders davon profitieren. Wo Geld verteilt werden kann, das nicht durch Leistung verdient wird, besteht immer Korruptionsgefahr. Wir sehen das auch in der Entwicklungshilfe. Wenn Geld nicht gemäß Leistung vergeben wird, zählen andere Kriterien wie zum Beispiel Beziehungen. Es überrascht auch nicht, dass die Löhne im Bankensektor höher sind als anderswo. Dies liegt nicht daran, dass dort die Leute brillanter wären oder viel effizienter arbeiten als anderswo. Es hat auch damit zu tun, weil Banken näher an der Geldschöpfung sind.

“Ich plädiere für eine Reflexion über Eigenverantwortung und Verantwortung gegenüber anderen.”

ADRIEL JOST

Eine wachsende Gruppe an Menschen sehen in Blockchain-basierten Kryptowährungen Vorteile gegenüber dem bisherigen Geldsystem. Insbesondere auch, weil sie keine staatlichen Anbindungen kennen und ohne Banken auskommen. Was halten Sie von Bitcoin und Co.?

Bitcoin behebt einen der Mängel, die das aktuelle System hat. Denn die Währung Bitcoin ist beschränkt, Bitcoin kann nicht einfach neu durch Banken oder Staaten geschaffen werden. Der Computercode sorgt für etwas, was wir in der Menschheitsgeschichte bisher nur mit Edelmetallen geschafft haben, im Gegensatz zu Gold aber eleganter. Ich persönlich bin jedoch alternativen Erlösungsgeschichten gegenüber jeweils etwas skeptisch. Denn auch dieses Geldsystem basiert grundsätzlich auf Vertrauen, konkret auf Vertrauen in die Technologie. Faktisch gibt es hinter Bitcoins keinen Wert, physisch existiert er nicht. Darum bekommt man für ihn immer nur so viel, wie jemand bereit ist für ihn zu zahlen. Der Wert von Bitcoin kann theoretisch zwischen null und einer sehr hohen Zahl sein. Das macht den Bitcoin sehr volatil.

Dies gilt aber auch für Fiatgeld, das ebenfalls nicht durch einen inneren Wert gedeckt ist. Also gibt es doch darin keinen Unterschied zu Kryptowährungen.

Ich sehe einen Unterschied in der Frage, in was man eher sein Vertrauen legt: In eine Währung, die auf einem Programmier-Code basiert, oder in eine Währung, die durch Staaten abgesichert ist und die letztlich von einer ganzen Volkswirtschaft getragen wird? Zudem stellt sich die Frage: Was ist, wenn in zehn Jahre eine neue Technologie existiert, die noch mehr Sicherheit verspricht? Bitcoin ist ersetzbar. Schließlich gilt auch: Falls Bitcoin tatsächlich das allgemein gebräuchliche Zahlungsmittel wäre, würden zukünftige Krisen viel gravierender. Im Gegensatz zum heutigen System könnten keine Bitcoins geschaffen werden, um die Krise abzufedern.

Den Gedanken, dass Bitcoin jemals als Zahlungsmittel eingesetzt wird, den haben ja viele schon aufgegeben.

Bitcoin ist aber vom Eigenverständnis her noch immer Geld und kein Investment. Doch kommen wir wirklich dahin? Viel größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Staaten nicht wollen, dass ihre Währungen verdrängt werden und deswegen private Kryptowährungen beispielsweise verbieten. Oder sie könnten eigene digitale Währungen errichten, ebenfalls ohne Banken. Das Geld würde in den Umlauf kommen, indem der Staat jedem Bürger und jeder Bürgerin pro Jahr einen Betrag auszahlt.

Denken Sie an das von politischen Parteien geforderte Bedingungslose Grundeinkommen?

Vom Prinzip her, ja. Aber dies hätte für die Gesellschaft große Konsequenzen, weil dadurch die Macht des Staates noch größer wird. Einem Überwachungsstaat wäre Tür und Tor geöffnet, da er direkten Zugang zum Geld und Zahlungsverhalten der Bürger hätte. Nicht ohne Grund ist zum Beispiel China bei der Entwicklung von digitalem Zentralbankgeld (CBDC) an vorderster Front mit dabei. Die Geldausschüttungen könnten beispielsweise mit dem sozialen Verhalten verknüpft werden. In etwa: Nur wer sich „gut“ verhält, wird mit einem Bonus bedacht.

Kryptowährungen, die unser Geldsystem im Grundsatz in Frage stellen. Großbanken, die von Nationalstaaten gerettet werden müssen. Riesige Überschuldungen, die zu einer Generationenbelastung geworden sind. Es gibt so viele Stichworte, die am aktuellen Geldsystem zweifeln lassen. Wenn Sie ein weißes Papier hätten und ein neues, perfektes System entwickeln könnten, wie würde das aussehen?

(Denkt nach) Das aktuelle Geldsystem hätte eigentlich viele Vorteile – wenn seine Flexibilität nicht missbraucht würde. Es bedarf darum erstens strikter Regeln für die Fiskalpolitik, wie zum Beispiel Schuldenbremsen, die auch eingehalten werden. Zweitens sind Zentralbanken wichtig, die auch kurzfristige Kosten in Kauf nehmen und Rezession zulassen, und nicht immer mit günstigem Geld reagieren. Und drittens müssten Banken sich selbst besser absichern und weniger vom Staat subventioniert werden. Banken weisen zurzeit viel zu wenig Eigenkapital auf, was nur möglich ist, weil sie den Staat im Rücken wissen. Sind diese drei Punkte erfüllt, hätte das gesamte System bessere Überlebenschancen. Darum setze ich mich dafür ein, auch wenn ich wohl auf verlorenem Posten stehe.

Sie fordern auch immer wieder eine Wertedebatte, beschäftigen sich als Präsident einer Denkfabrik mit ethischen Fragen, haben gar Theologie studiert. Wird im Finanzbereich zu wenig über ethisches Handeln debattiert?

Ja, gerade liberale Marktwirtschaftsbefürworter verschließen sich oft zu schnell vor Wertedebatten. Doch Werte sind entscheidend, gerade auch als Grundlage einer Marktwirtschaft und des Finanzsystems. Allerdings lassen sich Werte nicht einfach als Gesetze einführen. Es kann aber eine öffentliche Debatte dazu geführt werden. Insofern plädiere ich immer wieder für eine Reflexion über Eigenverantwortung und über die Verantwortung gegenüber anderen.

Und was raten Sie zum Beispiel einem jungen Menschen, der anfängt sein selbstständiges Leben aufzubauen und dadurch mit all den Fragen zum Geld konfrontiert sein wird?

Ich würde ihm sagen, dass er angesichts der anstehenden riesigen Herausforderungen für unser Geldsystem sein Vertrauen besser nicht auf Geld setzen soll. Und man kann nicht nur in Anlagen investieren, sondern auch in Projekte und Menschen. Anstatt sich endlos darüber den Kopf zu zerbrechen, wie er das Geld investieren soll, ist es sinnvoller, darüber nachzudenken, was er mit seinen Ressourcen bewegen will.

Man könnte auch das Magazin Melchior unterstützen. (Lacht)

Durchaus!

Herr Jost, vielen Dank für das Gespräch.

Text: Martin Iten

Hol dir die ganze Printausgabe! Einfach hier bestellen zu einem Preis, den du selbst festlegst. Melchior erscheint zweimal im Jahr mit gut 90 Seiten „Auf der Suche nach dem Schönen, Wahren, Guten“.

Adriel Jost, geboren 1985 im Kanton Luzern, hat akademische Abschlüsse in International Affairs & Political Economy, Quantitative Economics & Finance, Volkswirtschaftslehre und Theologie. Nach seinen früheren Tätigkeiten als Berater und Analyst in der Geldpolitik, unter anderem für das Direktorium der Schweizer Nationalbank und als Chefökonom und Partner einer unabhängigen Wirtschaftsberatung, wirkt er heute als Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern, als Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen und als Präsident der ethischen Denkfabrik Liberethica. Jost ist verheiratet und lebt in Zürich.