19 März Von einer Schnapsidee
Zum vielleicht besten Whisky der Welt. Eine Reise nach Dänemark.
Diese Reportage ist im März 2018 in der Ausgabe Nr. 8 erschienen. Melchior erscheint zweimal im Jahr. Bestell dir hier die aktuelle Melchior Ausgabe zum Kennenlernen.
Eiskalter Wind peitscht mir um die Ohren. Meine Finger gefrieren fast und ich packe meine Kamera wieder ein. Der Himmel ist sowieso grau, so wie das Meer. Ich frage mich, was ich hier eigentlich mache. Dänemark verbindet man vielleicht mit Legoland, Radfahren oder Hotdogs. Aber nicht mit Whisky. Denke ich mir. Am nächsten Morgen stehe ich um acht Uhr vor einer kleinen Tür einer zugegeben nicht so kleinen Brauerei, dafür aber in einem umso kleineren Ort an der Küste Dänemarks, und lasse mich eines Besseren belehren. Stauning ist faszinierend. Nicht nur weil jede neue Serie Whisky regelmäßig zum Zusammenbruch des Onlineshops führt und dann alle der 2.000 Flaschen in durchschnittlich 2,5 Minuten verkauft sind – und am selben Tag dann um den doppelten Preis in der „Blauen Zeitung“ angeboten werden. Oder weil im Noma, einem der besten Restaurants der Welt nur Stauning Whisky angeboten wird. Oder weil Diageo, der weltgrößte Spirituosenkonzern, sich bei der kleinen Whisky Brauerei aus Dänemark einkauft. Sondern vor allem wegen der Geschichte dahinter. Ich habe mich mit Alex Munch, einem der Gründer, getroffen, der sie uns erzählt.
Eines Tages im Sommer 2005 ist Martin, ein junger Arzt, zu einem der typisch dänischen Sommerhäuser unterwegs. Im Autoradio hört er eine Sendung über Whisky. „Es ist einfach, Whisky zu machen, aber schwer, dass er gut wird.“ Dieser Satz lässt ihn nicht mehr los. Anscheinend produziert niemand in Dänemark guten Single Malt Whisky. Einmal hat hier angeblich jemand Bier brauen wollen, das nichts wurde und deswegen destilliert – aber das zählt nicht. Dann noch die hohen Einfuhrzölle auf ausländischen Alkohol… Eine leise Idee regt sich. Martin spricht mit seinem Bruder und noch am gleichen Tag beginnen sie ihre Freunde anzurufen.
Ein neues Hobby
Ein paar Wochen später treffen sich dreizehn Freunde. Neun davon sollen übrigbleiben. Sie wollen gemeinsam Whisky brauen. Einfach so, als Hobby. „Wir waren komplett unterschiedliche Charaktere. Vier Ingenieure, ein Arzt, ein Lehrer, ein Chefkoch, ein Fleischhauer und ein Hubschrauberpilot. Aber wir hatten eines gemeinsam – keiner von uns hatte Ahnung davon, wie man Whisky braut.“
„Oft hat man Träume im Leben. Vielleicht hatten wir alle einen versteckten Traum, etwas Besonderes zu machen.“ Dabei mochten zwei der Gründer zu Beginn Whisky nicht einmal und mussten erst lernen, wie man ihn trinkt. „Wir dachten, auch wenn es nichts wird, hätten wir trotzdem Freude an der Sache. Wenn du eine Idee hast, warum nicht einfach versuchen? Folge deinen Träumen. Du hast nur ein Leben.“
Die ersten Versuche wurden in einer alten Fleischhauerei unternommen. Pioniergeist war viel vorhanden, Geld nicht. Also wurde viel improvisiert. Der alte Fleischwolf wurde zur Getreidemühle, der Beizbehälter zur Fermentation und der Räucherofen zum Torfräuchern verwendet. Nur die beiden kleinen Brennblasen wurden extra in Portugal gekauft. „Es war auch gut, dass wir so viele waren, weil jeder von uns andere Fähigkeiten und Qualifikationen hatte. Die Ingenieure unter uns waren Excel Sheets und Statistiken gewöhnt, Martin kannte sich im Labor und mit Bakterienkulturen aus… Wir nahmen am Anfang alle fünfzehn Minuten eine Probe, um alles genau zu messen. Wir dachten, so könnten wir besser mit jemanden, der sich auskennt, herausfinden, was im Prozess schiefgegangen war.“ Als die Brennblasen dann das erste Mal angefeuert wurden und ein paar Tropfen Hoffnung zu tröpfeln begannen, war die Stimmung beinahe euphorisch.
„Als wir den rohen Whisky dann das erste Mal kosteten, war die Stimmung noch ausgelassener, und wir ahnten, dass wir etwas Gutes gemacht hatten.“
Durch ein paar gute Kontakte wurden sie zu einer Veranstaltung eingeladen, wo ihr Whisky Bill Murray präsentiert wurde. Bill Murray ist Herausgeber der „Whisky Bible“ und der Experte für Whisky schlechthin. „Unsere Hände zitterten, und wir wussten nicht genau, was wir antworten sollten, als Murray nach ein paar Minuten stillen Probierens fragte, was das wäre, was wir da produziert hatten.“ Schweigen. „Menschen, die Smoked Whisky lieben, würden ihre Mutter für eine Flasche dieses Whiskys eintauschen [Anm. d. Redaktion: Vielleicht war dieser Teil auch stärker formuliert]. Das hat wirklich Potenzial. Es erinnert mich an Ardbeg aus den 1970er Jahren. Das könnte einer der besten Smoked Whiskys werden.“ So, oder so ähnlich Murray. Ardbeg aus den 70ern ist immerhin der Whisky, den er an seinem Sterbebett noch ein letztes Mal trinken möchte. Auch wenn es nur ein paar Tropfen wären.
Rekordverdächtig
„Der eigentliche Moment, der für uns alles verändert hatte, war aber, als Diageo ein Treffen mit uns wollte.“ Diageo ist der größte Spirituosenhersteller der Welt. „Wir haben rund um die Welt verschiedene Projekte beobachtet und eures ist das interessanteste.“ Zitiert Alex. „Anfangs wollten wir nicht verkaufen, weil wir eine gute Sache hatten.“ Schließlich wurden dann doch 40 Prozent der Firma um 20 Millionen Euro verkauft. „Es ist leicht, arrogant zu werden, wenn es im Leben von klein nach groß geht. Es zählt, wie man mit den Menschen umgeht. Die gleichen, die man im Lift nach oben trifft, trifft man auch, wenn es wieder nach unten geht.“
Während wir sprechen, setzt mir Alex einen Stauning Bau-Helm auf und führt mich durch die fast fertig gestellten Produktionshallen. Alles in dänischem Design, selbstverständlich. Sogar die großen Industrielampen. Glasfronten mit Blick zum Meer. Die Einwohner der 345-Seelen Gemeinde Stauning wissen noch nicht so recht, was sie von den modernen ganz in Schwarz gehaltenen Gebäuden denken. Es ist vermutlich die größte Veränderung im Ortsbild, seit irgendwann die beiden elektrischen Ampeln eingeführt wurden. Alex und seine Freunde, die ich alle irgendwo in den verschiedenen neuen Hallen sehe, sind sichtlich stolz darauf.
Ein Getränk für Engel
Vielleicht ist es auch die unvoreingenommene Herangehensweise, die den Whisky so besonders macht. „Einmal experimentierten wir zum Räuchern mit Heidekraut statt Torf. Anfangs wollten wir es wieder sein lassen. Es war viel zu süß und zu wenig rauchig. Aber nachdem der Whisky eine Zeit lang im Fass verbracht hatte, konnten wir fast nicht glauben, wie gut er war.“ Und der mit Heidekraut geräucherte Whisky ist auch mein Favorit. Das Ganze scheint wirklich nicht so schwer zu sein. Es kommen Ideen auf. Ich überlege, meinen Freunden ein neues Hobby vorzuschlagen. Vielleicht ist das aber auch wegen des ganzen Whiskydunstes in der Luft. Dunst ist nicht das richtige Wort. Eher Duft. Je nach Sorte etwas süßer oder rauchiger. Alex erzählt, dass ihm einmal eine Flasche im Gepäck zerbrochen war und sein ganzes Gewand nach dem Whisky roch. „Aber es war ein guter Geruch. Fast wie ein Parfum!“
Wie sich das Leben verändert hat, frage ich. „Unsere Familien sehen sich weniger und wir diskutieren mehr. Außerdem arbeite ich jetzt Vollzeit in der Brauerei.“ Und der Whisky? Schmeckt wie Ardbeg aus den 70ern. Nur einen Nachteil hat er: Er nimmt mir ein bisschen die Freude an meiner eigenen kleinen Whisky-sammlung daheim. So gut schmeckt er. Ich mag Dänemark mittlerweile richtig gern, merke ich. Der Teil des Whiskys, der im Fass verdampft, wird übrigens Angel Share genannt. „Ich kann die Engel hier verstehen“, denke ich mir, als ich am Rückweg in der kleinen Bäckerei vor dem Lego Haus in Billund ein Hotdog esse. Nur zum Radfahren ist es zu kalt.
Wie der Whisky hergestellt wird:
Das Korn – meist Roggen oder Gerste kommt vom lokalen Bauern. „Wir mälzen hier selbst und machen alles so, wie man es früher gemacht hat.“ Erklärt der Wahl-Däne Stefan, der ursprünglich zum Wind- und Kitesurfen aus Deutschland ausgewandert ist. „Wir möchten, dass das Korn möglichst viel Stärke produziert, der dann als Zucker für den Whisky gebraucht wird.“ Wenn Smoked Whisky hergestellt werden soll, wird das Korn mit Torf oder Heidekraut geräuchert. Der Torf von Stauning unterscheidet sich stark von dem, den man für schottische Whiskys verwendet. Durch die Zusammensetzung verglimmt er anders. Der Geschmack erinnert hier weniger an Meer oder „Aschenbecher“, wie Martin es sagt. Anschließend wird das Korn gemahlen und mit Wasser vermischt. Das so entstehende „Zuckerwasser“ oder auch „Bier“ (ohne dem zugesetzten Hopfen) wird mit der Hefe zum Reagieren gebracht. Nach dem Gären beginnt das eigentlichen Brauen. Bei der ersten Destillation – dem ersten „Cut“ – sind es noch 600 Liter, von denen 250 Liter Herzstück übrigbleiben. Bei der zweiten Destillation muss man aufpassen, nicht zu viel des „Tails“ zum fertigen Produkt dazu zu bekommen, das würde den Geschmack zerstören. Zu wenig nimmt den Charakter.
Danach kommt der Whisky in Fässer, um sich nach mindestens drei Jahren auch rechtlich so nennen zu dürfen. Bei Stauning werden meistens neue Fässer verwendet und die nur einmal. Dadurch muss der Whisky nicht so lange in den Fässern lagern, um das Aroma und die Farbe anzunehmen. Oft sind es auch alte Burbon Fässer, Sherry- oder Portweinfässer. Das Fass spielt für den Geschmack eine entscheidende Rolle. Je kleiner das zum Reifen verwendete Fass, desto besser. „Es geht um den Kontakt des Whiskys mit dem Holz.“ So der Neo-Däne. Er ist jetzt für die Reifung der Whiskys zuständig. „Durch die Temperaturunterschiede dehnt sich der Whisky aus und wird in die Poren des Holzes gedrückt, wo er die verschiedenen Aromen aufnimmt. Wenn er abkühlt und sich zusammenzieht, kommen die mit in den Whisky.“ Sogar etikettiert wird am Schluss noch selbst. Natürlich mit der selbst aus Lego gebauten Etikettiermaschine. Die Klischees stimmen doch. Irgendwie.
JOHANNES WUNSCH, 35, ist mittlerweile wieder zurück in Wien bei Frau und Kind und arbeitet seither an der in Mitleidenschaft gezogenen Beziehung zu seiner eigenen Whiskysammlung. Außerdem hat er stets ein offenes Ohr für die Menschen auf seiner Therapiecouch.
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