12 Okt. Spinnerin
Julia Lacherstorfer ist Geigerin, Komponistin und Intendantin. Ihr erstes Soloalbum heißt Spinnerin [a female narrative]. In all seiner Mehrdeutigkeit. Der rote Faden, der sich durch ihr Leben spinnt, ist die Volksmusik. Ein Wort, mit dem sie manchmal in einer Schublade landet. Dass Schubladen-Denken aber gar nicht zu ihr und ihrem Stil passt, und welche Bedeutung das Spinnen für sie hat, erfährt man, wenn man sich auf eine Begegnung mit ihr und ihrer Musik einlässt.
Dieses Porträt ist im Oktober 2020 in der Ausgabe Nr. 13 erschienen. Melchior erscheint zweimal im Jahr. Bestell dir hier die aktuelle Melchior Ausgabe zum Kennenlernen.
„Mit unserer Mama waren wir im Sommer immer auf Volksmusikwochen. Da haben wir gelernt, frei zu musizieren, ohne Noten. Diese Tage waren voll von Energie. Die Kraft und der Motor sind mir geblieben.“ Sobald Julia von dieser prägenden Kindheitserfahrung erzählt, spürt man den anlaufenden Motor, der die Power liefert, mit der man sie auf der Bühne erlebt, wenn sie ganz in ihrem Element ist. Eine strahlende, auf Stil bedachte Frau. Sie trägt oft Schuhe mit Absatz und an den Fußgelenken hängt ein Percussioninstrument. Das laut eigener Beschreibung nicht übergroße Selbstbewusstsein merkt man ihr nicht an. Den Anspruch nach hoher Qualität und gleichzeitiger Freude am Musizieren schon.
Will man ihre Musik einer Stilrichtung zuordnen, dann trifft es die Bezeichnung zeitgenössische Volksmusik am ehesten. „Ich liebe die Volksmusik, ich bin mit ihr aufgewachsen und ich spüre eine irrsinnige Energie in ihr.“ Irgendwann wurde das geliebte Hobby zum Beruf und das freie Improvisieren um gelerntes Komponieren und unterschiedliche Stilrichtungen erweitert. Die Volksmusik-Basis ist geblieben. „Die Entwicklungen in der neuen E-Musik finde ich sehr wichtig und spannend, aber es fehlt mir dabei manchmal der emotionale Aspekt.“ Dass es ihr gelingt, ernstzunehmende neue Musik zu schreiben, die ihre Zuhörer auch emotional erreicht, lässt sich unter anderem daran festmachen, dass man ihren Namen mittlerweile im Programm so renommierter Häuser wie dem Wiener Musikverein findet. Ihr bisheriges Hauptprojekt ist das Ensemble Alma, in dem auch ihre Schwester Marlene spielt. Nicht zufällig steckt darin das Wort Alm, das die Verbindung zur Volksmusik knüpft und das lateinische Wort für Seele. Zwei Wörter, die auch gut beschreiben, woraus Julia privat schöpft: „Ruhe und Natur inspirieren mich extrem. Das klingt kitschig und klischeehaft, ist aber die Wahrheit.“
Von Lebensfäden
Die nötige Stille findet sie in ihrem skandinavisch anmutenden Haus am Stadtrand von Wien, in dem sie mit ihrem Lebenspartner, dem Trompeter Simon Zöchbauer, lebt. Gemeinsam haben sie 2018 die Intendanz für das Musikfestival wellenklænge übernommen. Auch das Wort „Wellenklänge“ und der beschauliche, etwas mystische Festivalort Lunz am See passen wie angegossen zu Julia. „Wasser ist sehr wichtig für mich und ich liebe Lagerfeuer.“
Dass Ruhe und Rückzug eine wichtige Ressource für sie sind, weiß sie schon länger. Zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen und sie zu stillen, hat sie im Laufe der Zeit gelernt. „Ich bin ein introvertierter Mensch. Auch, wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt. Und ich habe sehr hohe Ansprüche, vor allem an mich selbst. Ich denke immer noch oft, dass ich alles, was ich tue, viel zu schlecht kann. Aber, wenn ich das Gefühl habe, ich soll etwas machen, dann stelle ich es nicht in Frage und lasse dem inneren Drang seinen Lauf.“
So auch in ihrem ersten Soloprojekt „Spinnerin“. Eine Idee, die schon lange in Julia heranwächst und die sie auf Spurensuche nach der weiblichen Perspektive im österreichischen Liedgut geführt hat. Die Spinnerin steht dabei für einen der typisch weiblichen Berufe, deren Bezeichnung aber oft sehr abschätzig verwendet wird. Wie beispielsweise auch das Waschweib. „Ich möchte die Bedeutungen umdrehen. Die Spinnerinnen, die wir aus den Märchen kennen, sind die, die unseren Lebensfaden in der Hand halten. Ich sehe in der Spinnerin eine selbstbestimmte Frau, die so handelt wie es ihr entspricht und nicht wie man es von ihr erwartet.“ Julias Wunsch ist es, durch das Spinnerin-Projekt ein narratives Netz zu spannen. „Durch das Erzählen unserer Geschichten entstehen Verbindungen und Resonanzen.“ Und durch ihre Musik bekommt manch alte Geschichte einen neuen Klang. Wäre man nun doch gezwungen, Julia in eine Schublade zu stecken, dann in die mit dem Etikett „Spinnerin“.
VERONIKA BONELLI
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