Seeking Joy
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Seeking Joy

Lange Zeit ist sie mit ihrem Cello zwischen den Stühlen gesessen – Klassik? Jazz? Pop? Orchester? Solo? Wie sie ihren ganz eigenen Stil gefunden hat, über die Sonnen- und Schattenseiten als Solokünstlerin, woher ihr Hang zu philosophischen Liedtexten kommt und was sie mit Ludwig van Beethoven gemeinsam hat, erzählte uns Marie Spaemann in einem Caféhaus am beliebten Multi-Kulti-Treffpunkt Yppenplatz in Wien. 

Dieses Porträt ist im November 2021 in der Ausgabe Nr. 15 erschienen. Melchior erscheint zweimal im Jahr. Bestell dir hier die aktuelle Melchior Ausgabe zum Kennenlernen.

Schade, dass ich meinen grünen Cellokasten nicht dabeihabe, er hätte perfekt zum Sofa gepasst“, lacht Marie, als wir im Café den besten Ort zum Reden und Fotografieren suchen. Man merkt sofort, dass sie ein Auge fürs schöne Detail hat. Ob Mode und Stil wichtig für sie sind? „Es ist Teil des Ausdrucks und lässt eine gewisse Verspieltheit zu. Das ist einer der positiven Aspekte am Älterwerden, dass man immer mehr in seiner eigenen Identität ankommt.“

Das gilt auch für ihre Musik. Als Cellistin gab es lange „den Klassik-Sessel.“ Und sie fügt hinzu: „Nach dem Studium und einer längeren Reise – ohne Cello – habe ich aber bemerkt, dass mir trotz Liebe zur Klassik das Spielen mit kreativen Schaffensprozessen fehlt. Da kam der Jazz-Pop-Sessel dazu. Aber auf keinem der beiden saß ich richtig. Das war eine sehr verunsichernde Phase, aber ich wusste, dass ich mich als Orchestermusikerin nie ganz wohl fühlen würde und auch später noch unterrichten könnte. Also bin ich drangeblieben, habe viele unterschiedliche Projekte gespielt, sehr viel ausprobiert und dazu gelernt. Es war sehr wichtig, diese Unsicherheit auszuhalten und weiterzugehen. So ist dann irgendwann mein eigener Sessel entstanden, auf den ich mich dann wirklich setzen konnte.“
Da ist für vieles Platz. Aber es muss zu ihr passen. „Das Beste ist, wenn meine beiden musikalischen Welten ihren Raum bekommen.“ Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie zwischen ihren eigenen Liedern in einem Konzert auch mal Bach spielt. Warum auch nicht?

Die Kluft überwinden 

Ihr erstes Soloalbum heißt „Gap“. Eine große Plattenfirma hätte sich als Produzent angeboten. Aber damals war die Kluft zwischen den Stühlen noch zu groß. „Diese überproduzierten Popsongs waren cool, aber ich habe mein Wesen darin nicht gespürt.“ So hat Marie alles noch einmal aufgenommen. Alleine. „Meine Musik ist oft sehr reduziert. Ich loope zwar, aber es ist doch nur Cello und Stimme. Ich wollte, dass das so bleibt.“

Klassik spielt sie nach wie vor, hin und wieder auch mit großem Orchester, aber vor allem ist sie allein als Singer-Songwriterin oder mit dem Akkordeonisten Christian Bakanic unterwegs.
Allein spielen bedeutet auch allein reisen. Auf wie vielen Bahnhöfen ist sie mit Cello und sonstigem Gepäck beladen gestanden und hat gewartet, dass jemand sie abholt. Auch um allein auf die Bühne zu gehen, „braucht es immer wieder einen kleinen Tritt in den Hintern. Ich muss jedes Mal neu den Mut zusammensammeln. Es ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Aber wenn ich dann mitten im Geschehen bin, ist es ein ganz besonderes Gefühl und empowering.“

„Ich muss die Musik, die ich spiele, jedes Mal neu hören und neu erzählen.”

MARIE SPAEMANN

Musikalische Geschichten 

Wie sehr sie die Bühne und den Austausch mit dem „Live-Publikum“ liebt, ist ihr vor allem am Beginn des zweiten Corona-Jahres bewusst geworden. Nach Monaten, in denen die Konzerte ausschließlich online stattfinden konnten, war die Sehnsucht nach „echtem“ Publikum sehr groß. „Es ist wie Geschichten erzählen. Das, was zurückkommt, ist irrsinnig wertvoll. Ich führe auf der Bühne keinen Monolog. Man spürt die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Dabei ist aber auch wichtig, dass ich selber ganz präsent bin. Ich habe einmal einer Musikerin zugehört, die selbst so sehr gestaunt hat über ihre Musik. Das war eine total wichtige Lehre für mich. Ich muss die Musik, die ich spiele, jedes Mal neu hören und neu erzählen.“

Maries Songs sind immer eine Verarbeitung dessen, was sie im Leben gerade beschäftigt. Oft beginnt es mit einer Textphrase, zu der dann schnell auch eine Melodie kommt. „Dass mir etwas einfällt, kann in den absurdesten Situationen passieren. Zum Beispiel auf dem Zahnarztstuhl. Ich musste mich vor der Behandlung noch schnell auf die Toilette entschuldigen, weil ich eine Melodie im Kopf hatte, die ich in mein Handy singen wollte, bevor sie wieder
weg war.“

Joy, I am seeking you 

Dass ihre Songs Ausdruck ihres Lebens sind, spürt man besonders in „Seeking Joy“. Inspiriert ist das Stück von Beethovens Ode an die Freude in seiner Neunten Symphonie. Der Text dazu stammt von Friedrich Schiller. Beides hat Marie auf ihre ganz eigene Art interpretiert. Man spürt, wie sicher sie mittlerweile auf ihrem eigenen Marie-Stuhl sitzt. Und doch bleibt da ein Suchen. „Freude“, sagt Marie, „kann im Leben ganz da und doch verhalten und still sein. Joy, nicht Happiness. Als Grundmelodie ist sie da, aber manchmal muss man um sie kämpfen. Und manchmal schwebt sie nur zart und leicht vorbei und man muss sehr aufmerksam sein, um sie wahrzunehmen. Sie hat so viele Formen und Farben. Dieses lebenslange Spiel mit der Freude wollte ich musikalisch zum Ausdruck bringen.“

„Freude kann im Leben ganz da und doch verhalten still sein.”

MARIE SPAEMANN

Philosophische Wurzeln 

„Liegt das Philosophische in deiner Familie?“, wird Marie oft von Menschen gefragt, die sich ein wenig mehr mit ihren Texten beschäftigen.

Die Antwort lautet: Ja. Ihr Großvater, Robert Spaemann war Philosophie-Professor. „Er war ein Mann mit einer starken pädagogischen Ader. Da habe ich als Kind viel abbekommen“, erzählt Marie mit einem Augenzwinkern. So musste sie zum Beispiel mit 5 Jahren einen 12-Ton-Kanon lernen, weil der Opa gerade so fasziniert davon war. „Aber er war irrsinnig lustig und ein liebevoller Großvater. Ich bin überrascht, wie oft ich an ihn denke, wie präsent er noch ist. Meinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und mein analytisches Denken habe ich wohl von ihm geerbt.“

Was sie mit dem Großvater noch verbindet, ist der Glaube. Auch da hat sie ihren eigenen Weg erst finden müssen. „Die meiste Zeit meines Lebens habe ich seine Sichtweise der Dinge sehr kritisch betrachtet. Aber für so eine Art von Auseinandersetzung sind Großeltern ja da. Dann, ein Jahr vor seinem Tod begann bei mir ein neuer Abschnitt, in dem ich anfing, die Beziehung zu unserer Schöpfernatur und zum Christentum neu zu entdecken und zu leben. Da habe ich ihm manchmal erzählt, wie ich das Göttliche wahrnehme. Er hat damals sehr aufmerksam zugehört und mich abgeholt, ohne mich mit seinen Ansichten zu überrollen.“

Be still 

„Be still and know that I am God.“ Dieser Satz bringt Maries Erfahrung am besten zum Ausdruck. Glauben ist für sie, Vertrauen haben zu können. „Dass ich den passenden Partner gewählt habe. Oder dass ich musikalisch auf dem richtigen Weg bin. Gerade in Situationen, in denen man oft ‚Nein’ sagen muss. Da gibt mir das Vertrauen Rückhalt. Wenn ich bei mir selbst zuhause bin, bin ich auch in Gott geborgen. Aber zwischen der lauten Außenwelt und den leisen intuitiven Erfahrungen in der Stille ist oft ein Widerspruch. Die Spannung, die dann entsteht, auszuhalten ist herausfordernd. Aber dann hab ich zumindest die Möglichkeit, zurück in die Stille zu gehen und zu vertrauen, dass ich mich und den, der mich geschaffen hat, irgendwann wieder spüre und weiß, was stimmig ist.“ Es kann lange dauern. Wie die Suche nach dem ganz eigenen, passenden Stuhl. Aber nicht umsonst ist der Sessel die Königsdisziplin im Möbeldesign.

VERONIKA BONELLI

Hol dir die ganze Printausgabe! Einfach hier bestellen zu einem Preis, den du selbst festlegst. Melchior erscheint zweimal im Jahr mit gut 90 Seiten „Auf der Suche nach dem Schönen, Wahren, Guten“.

Marie Spaemann, ist 32 Jahre alt und lebt in Wien. Ihr Liebe zum Cello ist mit sechs Jahren erwacht. Ein Jahr später hat sie mit dem Unterricht begonnen. Beruflich konnte sie sich lange vieles vorstellen – Tanz, Schauspiel, Sprachen… Die Entscheidung für die Musik fiel erst ein Jahr nach der Matura bei ihrem Cello-Professor in Kroatien. Seitdem hat sie den internationalen Johannes Brahms Wettbewerb gewonnen, mit vielen renommierten Orchestern gespielt und tritt bei bekannten Festivals auf. Am liebsten ist sie als Solokünstlerin oder in ihrem Duo-Projekt mit dem Akkordeonisten Christian Bakanic unterwegs. .