Manud
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Manud

Drei Frauen, ein Café und der Mond.

Das Portrait ist im Oktober 2024 in der Ausgabe Nr. 20 erschienen. Melchior erscheint zweimal im Jahr. Bestell dir hier die aktuelle Melchior Ausgabe zum Kennenlernen.

Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich mit eigenen Augen das Matterhorn, zumindest die eine Hälfte, während die andere in nebligen Wolkenschwaden versinkt. Aber gekommen bin ich nicht wegen dem majestätischen Berg, sondern wegen dem Mond, dem „Manud“, wie er im Zermatterdialekt genannt wird. In einer Seitengasse prangt das Schild mit dem wohlklingenden Namen, ausgesprochen mit einem langem „a“.

Hier besuche ich ein Café, das zum Restaurant herangewachsen ist, bisweilen als Konzertlokal offensteht und während dem „Zermatt Unplugged“ für eine Woche nachts zum Club wird. Ein wandelbarer Raum der Begegnungen. Für heute bleiben die Stühle auf den Tischen stehen und die Kaffeemaschine schweigt – nach einer intensiven Wintersaison sind die Türen für zwei Wochen geschlossen. Magdalena, Romaine und Simone, die drei Geschäftsführerinnen erzählen von ihrem Herzensprojekt.

Romantik

„Ich war definitiv naiv und hatte eine romantische Vorstellung eines Cafés, als einem schönen Ort, an dem man mit den Menschen plaudern kann. Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte anzufangen, wenn ich gewusst hätte, was tatsächlich auf mich zukommt. Aber als ich es realisierte, da war ich mittendrin und da galt es Vollgas zu geben.“ Romaine schmunzelt beim Gedanken an ihr jüngeres Selbst und sie scheint dankbar zu sein, dass sie zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Schwägerin die arglose Kühnheit besaß, dieses Wagnis zu starten.

Das Abenteuer begann im Winter 2020 als das Lokal an der Hofmattstrasse 4 frei wurde. Warum nicht jetzt den Traum vom eigenen Café leben, bevor der nächste Zehnjahresvertrag ausgestellt wird? „Let’s do it“, sagten sich die Mitzwanzigerinnen. Nach einer kurzen, intensiven Planungszeit wurden im März die Offerten eingeholt, im Mai die Firma gegründet, ein Monat lang umgebaut und am 4. Juli 2020 wurde das Manud eröffnet. Von Beginn weg ergänzten sich die drei Frauen sehr gut. Magdalena verfügt nicht nur über eine abgeschlossene Ausbildung im Hotelfach und unternehmerisches Flair, sondern sie hatte bereits einmal eine Hoteleröffnung durchgeführt und kannte sich aus mit Backoffice Tätigkeiten, Simone besuchte die Hotelfachschule und es galt ein Praktikum im Service zu absolvieren und Romaine war nicht nur ein herausragendes Organisationstalent, sondern sah durch ihren musikalischen Hintergrund den Ort auch als Raum für Kultur.

Arbeit

Der erste Sommer war äußerst arbeitsintensiv, das Startjahr aufgrund von Corona von wirtschaftlicher Unsicherheit und Chaos geprägt. Doch es dauerte nicht lange, bis das Manud zu einem zweiten Wohnzimmer für die Menschen aus der Gegend wurde. Was zunächst als herzig* belächelt wurde in der Gastrohochburg Zermatt, wo man mehr nach den GaultMillau-Sternen greift als nach dem Mond Ausschau hält, hat inzwischen einen selbstverständlichen Platz im Dorf gefunden. Der Postbote trinkt im Manud jeden Morgen seinen Cappuccino, die griechischen Arbeiter, die weder zum Skifahren noch zum Bergsteigen in der schönen Gegend leben, haben ihre kleinen Studios mit dieser „guten Stube“ erweitert und während dem Musikfestival Zermatt Unplugged wird die ganze Nacht durchgetanzt.

Vertrauen

Zunächst bedeutete das eigene Café für die jungen Frauen Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Romaine fasst es so zusammen: „Wenn etwas gemacht werden musste, hat es jemand gemacht.“ Viel Zeit, um alles lang und breit zu diskutieren gab es nicht. Die drei kennen sich schon lange und sie kennen sich gut. Vieles sei selbstverständlich gewesen. „Das Vertrauen ist sehr groß“ bringt Simone das Geheimnis ihrer Zusammenarbeit auf den Punkt. „Letzte Woche, da wurde ich etwas lauter zu dir Romaine, aber ich glaube, das war das erste Mal“, fügt Magdalena an. Nach drei Jahren einmal ein gestresstes Wort, das klingt wie aus einem Märchen. Doch als ich die drei Frauen erlebe, wie sie voll Leidenschaft und Freude über ihr Projekt reden, wie sie sich dabei zuhören, dann weicht die Verwunderung dem leisen Wunsch, dass es auch sonst so sein könnte in der Arbeitswelt. Ein Team zu führen, da sind sie sich einig, sei wohl die größte Challange. Die verschiedensten Charaktere zusammenzubringen, so dass jeder an seinem Platz ist, ein offenes Ohr zu haben und gleichzeitig den Gast nicht aus dem Auge zu verlieren, fordere heraus. Romaine ist es wichtig, dass das Team nicht alleine gelassen wird: „Die Leute müssen spüren, dass wir richtig mitarbeiten und nicht einfach kassieren. Wir machen denselben Job und putzen auch jetzt noch das WC und machen den Abwasch.“ Das trage zu einem guten Miteinander und sinnvollen Abläufen bei. Der Umgang mit den Angestellten sei sicher ein großes Thema. Jeder komme mit den eigenen Problemen zur Arbeit ins Manud. Es sei stets eine Gratwanderung für die Menschen da zu sein und gleichzeitig die Arbeit nicht zu vernachlässigen. „Der Gast will seine Bestellung, ob nun gerade eine Beziehung zerbrochen ist oder nicht“, ergänzt Magdalena. Gerade für die Herausforderungen im Team, sei es sehr wertvoll, dass sie sich die Verantwortung teilen würden. Jede hat ihre Aufgabe, aber alle haben sie Einblick in alles. Mal ist Simone die Verständnisvolle und Magdalena die Strenge, mal ist es andersrum. Spannungen bleiben nicht aus, aber sie könnten im Gleichgewicht gehalten werden. Die kreativen Wirtinnen sind überzeugt davon, dass die Gäste nicht nur wegen dem tollen Kaffee so gerne kommen, sondern auch weil die Stimmung ausstrahlt. „Wir arbeiten gerne, vor allem miteinander.“ Auf die Frage, was sie aneinander besonders schätzten, komme ich kaum nach mit dem Notieren …

“Die Leute müssen spüren, dass wir richtig mitarbeiten.”

Wertschätzung

Simone — „Ich finde, du Romaine, hast ein extremes Organisationstalent und eine klare Sicht. Du besitzt die Fähigkeit das Emotionale und Schöne an dich heranzulassen und das Schwierige gut zu verarbeiten.“

Magdalena — „Ja, wirklich, du denkst an alles, wirklich an alles! Auch wenn du gleichzeitig noch Mutter bist und nicht jeden Tag präsent bist, beherrschst du die Kunst, im Kopf voll da zu sein und trotzdem auch ganz mit deinem Mädchen zu sein. Und du hast sehr schöne Beziehungen zu allen Angestellten und Gästen.“

Romaine — „Das ist gerade etwas, was ich an dir schätze, Magdalena. Du hast eine Konsequenz, die mir bisweilen fehlt. Ich mag auch deine Romandie Vibes. Es gibt so viele Gäste, die kommen, weil sie deine Weinkultur aus dem Val d’Anniviers hier finden. Es ist eine andere Art zu feiern, die durch dich mitschwingt.“

Simone — „Du siehst vieles sehr objektiv. Gerade in der Gastronomie kommt man schnell auf eine Fahrbahn, in der man nur noch rennt und rennt, macht und macht. Deine Fähigkeit, die Dinge auch von außen betrachten zu können, hilft uns, gute Entscheidungen zu treffen. Und auch dein Sinn für Schönheit prägt das Lokal. Aber auch die viele versteckte Arbeit im Backoffice, von der kein Kunde etwas mitkriegt, erledigst du einfach so. Und wie dein Bub die Gäste nach einem Cappuccino und die Küche nach einem Cherrytomätli fragt, ist sehr schön.“

Romaine — „Und du Simone, hast wirklich gefehlt letzten Winter. Man kann sich zu 100 Prozent auf dich verlassen. Wenn du da bist, scheinen sich die Dinge wie von selbst gut zu fügen. Du packst immer an- ein „das ist zuviel“ hört man von dir nicht.“

Simone — „Ja, ja, ich weine ab und zu hinter der Bar, wenn es zuviel ist, aber dann ist es auch wieder gut.“

Romaine — „Man kann sich einfach drauf verlassen, dass du das Gute, ja das Beste willst!“

Magdalena — „Auch deine positive Haltung ist unersetzlich, wie du strahlst mit den Gästen. Man spürt, dass du liebst, was du tust.“

Romaine — „Zudem gibst du dem Personal Freiheiten, sich zu verwirklichen und setzt dich für ihre Ideen ein. Ich bin immer eher skeptisch neue Wege zu gehen und du sagst einfach: Let’s try. Den Mut weiterzugehen, zum Beispiel den Abend aufzumachen und nicht einfach beim Gelungenen stehenzubleiben, zeichnet dich aus. Und deine Connections aus der Hotelfachschule bescheren uns eine Menge gutes Personal.“

Freude

Die drei Powerfrauen haben offensichtlich die außergewöhnliche Gabe das Gute in den anderen zu sehen und es im ganz konkreten Alltag wachsen zu lassen. Dass sie sich die Leitungsfunktion teilen, liegt aber nicht nur an der gegenseitigen Ergänzung, sondern hat noch einen anderen Grund. Es bleibt Raum, dass stets jemand ein wenig kürzertritt. Unter der Sonne gibt es noch andere Wünsche als das Café: So sind mittlerweile drei kleine Kinder Stammgäste im Lokal, Magdalena befasst sich mit Hausbau, Simone widmet sich weiter ihrer Ausbildung und sammelte Erfahrungen in der neuseeländischen Gastrowelt und Romaine spielt Konzerte mit ihren Bands. Romaine befürchtete schon, dass Simone in Neuseeland bleibe, aber das Heimweh stellte sich zuverlässig ein, das Manud fehlte ihr. Aber was fehlt, wenn das Manud fehlt? „Im Manud dürfen wir alles so gestalten, wie wir es gerne mögen. Dieser Spielraum macht Freude“, strahlt Simone. „Ein weiterer Grund ist die Offenheit des Ortes. Alle Generationen finden hier einen Platz. Am Morgen sind viele Kinder hier, im Sommer kommt jeden Nachmittag ein altes Pärchen. Ohne zu fragen, bringst du ihnen zwei Kaffees. Der Besuch bei uns gehört zu ihrem Alltag wie das morgendliche Zähneputzen. Fehlen sie einmal, sorgen wir uns, ob es ihnen gut geht.“ Begegnungen prägen das Manud, das sieht man schon am langen Tisch, der fast schon symbolisch wirkt. Da darf man sich auch mal zu Unbekannten dazusetzen.

“Wir machen denselben Job und putzen auch jetzt noch das WC und machen den Abwasch.”

Verantwortung

Das Manud ist kein schönes Nebenhobby. Von Beginn weg war Risiko und Verantwortung im Spiel. Die eingetroffenen Rechnungen mussten bezahlt werden. Im ersten Jahr, noch zu Coronazeiten, schrieben sie rote Zahlen und bekamen glücklicherweise eine Mietzinsreduktion. Mittlerweile rentiert sich der Betrieb. Romaine meint: „Wenn du ein Team hast, hast du eine Verantwortung. Du musst die Löhne für zehn Menschen, die davon leben, zusammenbringen. Diese Last kannst du nicht abwälzen. Wenn es nicht läuft, haben sie keine Arbeit. Das ist eine große Motivation.“

Es sei eine Kunst die Wirtschaftlichkeit im Auge zu behalten, weil das gute Funktionieren auch Freiräume eröffne und gleichzeitig nicht nur in reiner Effizienz zu denken. So gebe es beispielsweise ein Gericht, das sehr aufwändig sei und Kosten verursache, die nicht reingeholt würden, aber sie hätten es nicht übers Herz gebracht, das Menu von der Karte zu streichen, weil sie an die Leute dachten, die dieses Essen so lieben. Oder es gebe aus Überzeugung das Format „Open Mic“ – ein Abend ohne viel Umsatz, an dem junge Menschen ihr künstlerisches Talent entfalten dürfen und eine erste Auftrittsmöglichkeit erhalten. In diesem Spannungsfeld klug zu agieren sei eine bleibende Herausforderung, der sie sich gerne stellen würden. Es gab schon Momente, in denen das dynamische Trio an die Grenzen kam, aber es steckt zuviel Herz drin, um aufzuhören.

Begegnung

Das Manud ist auch ein Ort, den die Einheimischen schätzen. Es gehört zu keiner Kette, sondern wird von Locals geführt, die auch wirklich präsent sind. Romaine hat ein Erlebnis der letzten Woche sehr berührt. Als es stressig war, kam der Postbote, wie jeden Morgen. „Er war sehr bedrückt und meinte, es hätte einen Todesfall gegeben. Ein Einheimischer sei bei einem Unfall verstorben. Ich fragte nach und er weinte um seinen Bekannten. Und da auch ich den Verunfallten kenne, haben wir einen Moment gemeinsam getrauert. Oft kommt er hierher und lacht, aber durch das tägliche Dasein war es auch möglich, diesen Augenblick zu teilen. Das ist mir sehr eingefahren.“

“Alle Generationen finden hier einen Platz.”

Der Mond hat viele Gesichter. Von ihren Gästen haben die drei Frauen erfahren, dass Manud auf Thai „Mensch“ bedeutet. Dass sie Menschen mögen, in ihrer ganzen Menschlichkeit, brauchen die drei Frauen nicht zu erklären. Das erschließt sich mir nicht nur durch ihre Erzählungen. Während dem Interview erlebe ich, dass an diesem Ort etwas Seltenes passiert: Man wird gesehen. Und wäre Zermatt nicht ganz so weit hinter dem Mond, ich würde dort sofort meine zweite Stube einrichten. Wenn der Mond schon tagsüber über dem Dorf so hell leuchtet, wie schön muss er nachts am Himmel über Zermatt denen erstrahlen, die nach ihm Ausschau halten.

  Magdalena Jordi-Hegglin

Hol dir die ganze Printausgabe! Einfach hier bestellen zu einem Preis, den du selbst festlegst. Melchior erscheint zweimal im Jahr mit gut 90 Seiten „Auf der Suche nach dem Schönen, Wahren, Guten“.

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