17 Nov Gut behütet
Wo die Spanische Hofreitschule auf Pretty Woman trifft.
Dieses Porträt ist im November 2022 in der Ausgabe Nr. 17 erschienen. Melchior erscheint zweimal im Jahr. Bestell dir hier die aktuelle Melchior Ausgabe zum Kennenlernen.
Was hatten Jacky Kennedy, Winston Churchill und Erzherzog Johann gemeinsam? Nicht nur bildeten sie jeweils modische, politische und romantische Ikonen ihrer Zeit, sie verließen auch nur in den seltensten Fällen ohne Hut das Haus. Geschweige denn stiegen sie unbehütet auf ein Pferd, in ein Flugzeug, Auto oder Zug. Ob das eine das andere bedingt? Oder dem gelungenen Ganzen nur die Krone aufsetzt?
Josef Kepka & Tochter
Eine banale Frage vielleicht, doch man muss sie sich stellen: Was kann so ein Hut? Und vor allem, wo ist er hin? Fest entschlossen, dieser Frage auf den Grund zu gehen, fahre ich (barhäuptig und in der Holzklasse) im Schnellzug von Wien nach Graz, in die Wickenburggasse 20 zur letzten Hutmacherin der Steiermark. Einen Faden zwischen den Lippen geklemmt, die Hände eine samtige Hutkrempe prüfend, deutet die Hutmacherin mit einem Kopfnicken auf einen Holzschemel hinter einer schwarz glänzenden Nähmaschine.
„Setzt euch hin, wo ihr Platz findet. Ich arbeite gerade an einem Riesenkopf.“ Die grüne Hutkrempe unter ein dampfendes Bügeleisen pressend steht vor mir Karin Krahl-Wichmann, Hutmacherin und Geschäftsführerin der letzten Hutmanufaktur der Steiermark, Josef Kepka & Söhne. Josef Kepka ist schon lange gestorben und Söhne gibt es hier auch nicht mehr. Eine Tochter schon, aber nicht seine. Aber dazu später. Ich sitze in einem wohlorganisierten Durcheinander an Hutformen, Stoffen und Bändern in den unterschiedlichsten Größen und Farben, durch die niedrigen Fenster dringen schüchtern die Sonnenstrahlen eines verregneten Juninachmittags. „Der Riesenkopf hat Größe 63, eine Spezialanfertigung für einen Kunden. Alle meine Kunden haben spezielle Köpfe. Dann gibt es da natürlich noch viele Aufträge für Musik- und Trachtenvereine oder die Spanische Hofreitschule. Aber eben auch für Zivilisten mit besonderen Bedürfnissen“, lacht die Hutmacherin zwischen zwei Dampfattacken auf die grüne Krempe. Ihre hellbraunen Haare trägt sie im Nacken hochgesteckt, die lebendigen Augen folgen wachsam jeder Bewegung ihrer rastlosen Hände. Jeder Griff sitzt.
Pretty Woman & Haifischhaut
Vor kurzem erschien eine ältere Dame im Geschäft, die dringend einen schwarzen Hut für die Beerdigung ihres Mannes brauchte. Auf die Frage, wann denn die Beerdigung genau sei, gab sie zur Antwort, dass sie es leider noch nicht wisse, da der Mann noch am Leben sei, aber sicherlich bald sterben würde. Die verbleibende Zeit wollte er nutzen, um die Garderobe seiner zukünftigen Witwe zu organisieren. „Damit er weiß, wie ich dann aussehe, wenn er da unten liegt.“ Ein anderes Mal sei ein Kunde dagewesen, der genauso aussehen wollte wie Julia Roberts in ihrem getupften Kleid in der berühmten Pferderennbahn-Szene aus „Pretty Woman“. Das richtige Kleid, die Schuhe und Perlen besaß er, nur der Hut war nirgends aufzutreiben. „Nach nicht einmal drei Tagen hatte ich ihn fertig“, nickt Karin knapp. Inzwischen hat sie begonnen, mit einer Bürste das gedampfte Velours zu bearbeiten. Die Velours-Optik entstehe, indem man Filz mit einer Haifischhaut aufraut, erklärt sie. Wo man Haifischhaut denn kaufe, frage ich. Karin zuckt mit den Schultern. Das weiß sie nicht, sie hat zum Glück eine randvolle Kiste von dem biologischen Schmirgelpapier vom alten Kepka geerbt.
Kleines Hütchen
Der alte Kepka hatte die Manufaktur im Jahr 1910 gegründet. Karins Vater, der dort als Lehrling angestellt war, hat sie ihm kurz vor seinem Tod abgekauft. Mit knapp 18 Jahren hat schließlich Karin übernommen, weil sie nicht zuschauen wollte, wie ihr Vater die alten Hutformen aus Holz einheizte, in der Meinung, keinen Nachfolger zu finden. Den Namen Kepka hätten sie dann behalten, nicht nur aus Sentimentalität, sondern vor allem aufgrund seiner Bedeutung: Kleines Hütchen heißt Kepka auf Russisch.
Hutbotschaften
Zehn Jahre hat Karin mit ihrem Vater zusammengearbeitet, alles hat er ihr beigebracht. Hier hält die Hutmacherin ausnahmsweise kurz inne, das Seidenband in ihren Händen gleitet in den Schoß. „Soviel Erinnerung an den Papa haftet an jedem Möbelstück hier. Auf diesem Holzschemel ist er zum Beispiel jeden Nachmittag gesessen und hat mir eine Viertelstunde beim Nähen zugeschaut.“ Viel geredet hat er nicht, nur einen Rat ans Herz gelegt: „Schau zu, dass’d keinen Kuckuck auffi bekommst auf deine Nähmaschine.“ Keine Schulden soll man sich machen. Und auch sonst sorgt der Papa dafür, dass man ihn nicht vergisst, auch wenn der Holzschemel jetzt leer bleibt: In jedem von ihm gefertigten Hut hat er handschriftlich auf einem Zettel den Namen des Trägers vermerkt. Diese Zettelchen kommen jedes Mal in die Werkstatt zurückgeflattert, wenn ein in die Jahre gekommener Hut repariert werden muss. Karins Augen wandern nachdenklich über die hölzerne Lehne. „Gefragt wie’s mir geht, hat er nie. Er wusste, wenn es der Firma gut geht, dann geht es mir auch gut. Und er hatte recht, wenn ich die Firma verkaufen müsste, dann wäre das auch mein Tod,“ setzt sie hinzu, nimmt mit einer flinken Bewegung das Seidenband wieder auf und hält es gegen die Hutkrempe. Goldbraun schimmernd liegt die Sägekante auf dem erdigen Grün auf. „So eine schöne Kante hat ein einfaches Ripsbandl natürlich nicht“, schmunzelt die Hutmacherin. „Aber wer erkennt sowas schon?“
Oldtimer oder wie man Haltung wahrt
Die Nähmaschinen waren immer schon da, seit knapp neunzig Jahren stehen sie in der Werkstatt. Michael, Ehemann, Hutmacher, Geschichtenerzähler, Oldtimerexperte und Werkstattführer seit immerhin sieben Jahre. Nähen kann er nicht, dafür reparieren. Und Hutgesichter, die es ja eigentlich nicht gibt, mit den passenden Kunstwerken aus Filz, Leder oder Stroh zusammenbringen. Nebenbei vermietet er unglaublich chice Oldtimer. Hüte und Oldtimer, die passen gut zueinander, konstatiert Michael. Obwohl die Erfindung des Automobils ja eigentlich mitverantwortlich für das Schwinden der Hutträger war: War man vor der Erfindung des Autos mit einem Hut und Schirm ausgezogen, um sich vor eventuellen Regengüssen zu schützen, hatte man ja jetzt einen schneidigen Flitzer, der schneller und vor allem trockener war, so Michaels Theorie. „Doch diese beiden Gegenspieler bringen wir jetzt wieder unter einen Hut“, lacht er.
„Es tut gut, mit Hut herumzulaufen. Die Haltung ändert sich, man streckt sich automatisch.“ „Um mit einem Hut auf die Straße zu gehen, braucht es Mut und Kraft“, ergänzt Karin. „Du musst adrett aussehen, ein Auftreten haben. Wenn du so daherkommst, glauben die Leute du hast einen Wuscher“, sagt sie und schlurft einen Schritt auf die Seite, um zu demonstrieren, was mit „so“ gemeint ist. Keine Haltung. Dann drückt sie Michael einen Kuss auf die Wange und verschwindet Richtung Nähmaschine.
Chapeau Claque
Hin und wieder rasselt die alte Türglocke und ein Kunde schaut herein. Beinahe jeden kennt man beim Namen. Und Michael spinnt seine Erzählungen fort. Von dem berühmten Chapeau claque, einem Reise-Hut aus feinster Seide, den der elegante Gentleman mit nur einer Handbewegung auf- und zufalten konnte. Von den Holzformen für den Kaiserjägerball, dem spanischen Zweispitz der Hofreitschule, von Gold-und Silberborten für Musikkapellen und Trachtenvereine. Von der Bodenhaube und dem Hut der Anna Plochl, Michaels Ausseer mit Großvaters Gamsbart und Karins Zipphut, dessen Krone und Krempe austauschbar sind. „Wir wollen die unter die Menschen bringen, weil’s soviel macht mit ihnen. Sie brauchen doch einen krönenden Abschluss,“ schließt er und drückt sich einen Deerstalker à la Sherlock auf den Kopf. „Die Krempe darf die Ohren berühren, muss aber einen Finger breit über den Augenbrauen aufhören – so trägt man Hut richtig.“
„Es tut gut mit einem Hut herumzulaufen. Die Haltung ändert sich, man streckt sich automatisch.”
MICHAEL KRAHL-WICHMANN
Der Jackie Moment
Während Michael erzählt, zaubert er uns mal einen Panamahut, mal ein golden staffiertes Trachtenhäubchen und einen hohen Zylinder mit elegant geschwungener Krempe auf den Kopf, je nachdem, worauf sein Blick gerade fällt. Der Regen hat aufgehört und der Zug nach Wien fährt in zwanzig Minuten. Ich halte die Türklinke bereits in der Hand, da erspähe ich in einer Glasvitrine einen kleinen Pillbox-Hut aus schwarzer Seide. Eine Sekunde später hat ihn Michael schon auf meinem Kopf drapiert und mich vor einen Spiegel geschoben. Vor mir steht zwar nicht Jackie Kennedy aber zumindest erahne ich das Potenzial dazu. Fehlt halt noch das Kostüm von Givenchy samt passender Schuhe. Und die richtige Frisur natürlich. Und ein Hauch Chanel No 5. Meine Jackie-Minute ist um, vorsichtig lege ich den Hut zurück in die Vitrine und erinnere mich an die Faustregel der Hutmacherin bei der Wahl des Hutes: „Hast du die passende Garderobe?“ Ich nehme mir fest vor, egal wie lange Givenchy auf mich warten muss, sobald das kleine Schwarze und ich uns gefunden haben, komme ich wieder in die Wickenburggasse 20.
TERESA CZERNIN
Hol dir die ganze Printausgabe! Einfach hier bestellen zu einem Preis, den du selbst festlegst. Melchior erscheint zweimal im Jahr mit gut 90 Seiten „Auf der Suche nach dem Schönen, Wahren, Guten“.