Bier im Blut
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Bier im Blut

Bayern und Bier, das gehört irgendwie zusammen. Doch wie sehr, kann man wohl nur dann erahnen, wenn man Menschen wie Josefa Leitner kennenlernt. Ein Besuch bei der jungen Bierbrauerin aus Oberbayern. 

Dieses Porträt ist im Dezember 2023 in der Ausgabe Nr. 19 erschienen. Melchior erscheint zweimal im Jahr. Bestell dir hier die aktuelle Melchior Ausgabe zum Kennenlernen.

Riesige Tanks türmen sich in dem großen Lagerkeller der Firma Auerbräu in Rosenheim. Fast alle sind sie prall gefüllt mit unterschiedlichen Sorten des bayrischen Nationalgetränks, das hier tagtäglich gebraut wird. „Magst du ein Pils, ein Helles oder ein Weißbier?“, fragt Josefa Leitner und sticht sogleich mit einer kleinen Zapfspirale den gigantischen Weißbiertank an. Der goldgelbe Tropfen spritzt ins hohe Glas, ganz oben bildet sich die typische dicke Schaumkrone. „Prost!“, ruft die Brauerin, während sich der hier Schreibende beim Verkosten des würzigen Saftes an vergangene Aufenthalte in Münchner Biergärten erinnert. „Wärst du an einem Freitag gekommen, hättest du zum Bier jetzt noch eine Weißwurst und eine Brezn bekommen“, lacht Josefa. „Dann machen wir in der Brauerei jeweils eine kleine Brotzeit.“ Genau so stellt man sich das Leben in Bayern doch vor, denke ich mir.

Die Firma Auerbräu ist eine traditionsreiche, 140-jährige Regionalbrauerei und unter anderem bekannt für die beliebte Biermarke „Chiemseer“, die sich deutschlandweit verkauft. Hier hat Josefa Leitner nach ihrem Fachabitur die Ausbildung zur Brauerin und Mälzerin absolviert und arbeitet jetzt im Lagerkeller, wie die riesige Halle mit den großen Tanks genannt wird. „In Bayern hat jede Region ihr lokales Bier. Da wo ich herkomme, war es eben das Auerbräu. Schon meine Vorfahren haben dieses Bier mit Genuss getrunken“, lacht die 25-Jährige und erzählt von ihrer Großmutter, die sich bis ins hohe Alter von 95 Jahren täglich mindestens ein Bier gegönnt habe und dabei topfit gewesen sei. „Jetzt bin ich natürlich stolz, für diese Biermarke brauen zu dürfen“, fügt sie an.

Die Kunst des Brauens 

Dabei sei die Herausforderung, zu jeder Jahreszeit und unter wechselnden Bedingungen das immer gleich gute Bier hinzubekommen. „Die Rohstoffe haben je nach Erntelage unterschiedliche Qualitäten, unser Anspruch ist es aber, dass das Bier immer gleich gut schmecken muss“, erzählt Josefa. „Wer einen Mercedes kauft, der erwartet die Qualität eines Mercedes. Unser Bier muss genauso stets das hohe Niveau halten, das von ihm erwartet wird“, fasst die Brauerin zusammen. Auf den Geschmack könne man Einfluss nehmen durch unterschiedliche Temperatureinwirkungen im Brau- und Gärprozess sowie durch einige andere Sonderkniffe. „Die kann ich natürlich in der Öffentlichkeit nicht herumerzählen, schließlich gibt es auch Betriebsgeheimnisse, warum unser Bier so gut schmeckt“, lächelt sie verschmitzt. „Aber ganz grundsätzlich: Dass man mit den nur vier Rohstoffen Hopfen, Malz, Hefe und Wasser, die im alten Reinheitsgebot festgehalten sind, so viele unterschiedliche Biere herstellen kann, ist doch einfach faszinierend“, schwärmt Josefa begeistert.

Man spürt, dass Josefa eine durch und durch passionierte Bierbrauerin ist. Wann sie in ihrem Leben das erste Mal Bier getrunken hatte, kann sie zwar nicht mehr genau sagen. Aber der Spruch „erstes Bier mit vier“ komme vielleicht schon hin, schmunzelt sie. „Mein Vater hat angeblich jeweils meinen Schnuller ins Bier getunkt, aber das darfst du im Text nicht schreiben“, fügt sie lachend an. Jedenfalls sei draußen am Land, dort wo sie aufgewachsen sei, die Biertrinkkultur fest verankert. „Wenn von einem Burschen- oder Dirndl-Verein ein Festl organisiert wird, ist die erste Frage, welches Bier angeboten wird“, erzählt Josefa. „Das kann dann zu regelrechten Glaubenskriegen führen“, weiß sie aus eigener Erfahrung.

Am Ende der Welt 

Josefa stammt aus der Region Fischbachau und wuchs im „Paradies“ auf, wie sie selber sagt: „Wenn man zu meinem Elternhaus will, fährt man beim Ende der Welt noch ein Stück weiter: Dort bin ich aufgewachsen.“ Nichtmal eine geteerte Straße habe es in ihrer Jugend bis zum Anwesen gegeben, Besucher hätten fast nicht geglaubt, dass „da hinten noch was komme“. Der Vater führt ein Sägewerk, die Mutter ist Keramikerin, beide sind selbstständig. „Wenn man so groß wird, so abgelegen und frei, hat man sicher einen anderen Bezug zum Leben“, findet Josefa: „Und ist besonders verbunden mit der Natur, der Tierwelt und den Bräuchen des Landlebens.“

Nach dem Fachabitur, noch bevor Josefa die Ausbildung zur Brauerin startete, führte die damals 20-Jährige einen Sommer lang als Sennerin eine Rinderalm. Kurz vor Ende der Sömmerung wurde sie überraschenderweise vom Bayrischen Rundfunk entdeckt, der dann spontan eine längere Dokumentation filmte. „Die Sennerin“, so hieß der Film am Ende, zog ziemliche Kreise und machte Josefa weit herum bekannt. „Der Film läuft seither in gewissen Abständen immer wieder im Fernsehprogramm und ich bekomme daraufhin jedesmal etliche Nachrichten“, erzählt sie.

Der Dokumentarfilm 

In „Die Sennerin“ sieht man Josefa, wie sie den Alltag auf der Alm bestreitet und dabei über ihr Leben und das Leben ganz allgemein sinniert. „Ich wollte einfach mich selber besser kennenlernen, schauen, wer ich überhaupt bin und ob ich mich selber aushalten kann“, gibt sie vor der Kamera als Grund an, warum es sie auf die Alm geführt hat. Ihre erfrischende Bodenständigkeit und ihre ehrlichen Gedanken über sich und die Entwicklung der Gesellschaft, insbesondere in ihrer eigenen Generation, sind es, die den Film wohl so erfolgreich machten. Sie habe sehr viel positives Feedback bekommen, nur ganz wenige seien kritisch gewesen. „Einer meinte mal, dass ich in der Dokumentation wie eine 50-Jährige daherrede. Er fand das negativ, für mich war diese Rückmeldung aber ein Kompliment“, lächelt Josefa verschmitzt. „Aber wie willst du jetzt vom Film den Bogen wieder zum Bierbrauen machen? Ganz ehrlich: Das hier ist ein ganz anderes Leben als auf einer Alm“, stellt sie klar.

Ich frage Josefa, ob es denn nicht analog zum vermeintlich idyllischen Almleben sowas wie eine Brauereiromantik gäbe, die vergleichbar sei. „Romantik gibt es vielleicht manchmal schon, jedoch eher aus anderen Gründen“, lacht sie. „Aber natürlich ist unser Beruf heute schon sehr technologisch und industriell.“ Das sei übrigens auch der Grund gewesen, warum sie Brauerin werden wollte. „Mir war klar, dass ich etwas Handwerkliches, Technisches machen will. Den ganzen Tag nur vor einem Computer zu sitzen, das wäre nichts für mich.“ Dass sie jetzt im „Maschinenraum“ der Filtrationsanlage auch ab und an Computer bedienen muss, sei aber eine gute Abwechslung zur restlichen Arbeit an den Pfannen und Kesseln. „Es ist wirklich so: Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, gehe ich gerne zur Arbeit“, fasst Josefa ihre Zufriedenheit zusammen.
Einsatz für die Bierkultur

Mit der Entscheidung, Bierbrauerin werden zu wollen, ist Josefa als Frau bei Weitem nicht mehr die Einzige. Es scheint aktuell gar einen kleinen Frauen-Boom zu geben in der Branche: „Seit ich die Ausbildung gemacht habe, sind bei uns vier weitere weibliche Azubis dazugekommen“, sagt Josefa, die anfänglich nach längerer Zeit die erste Frau an der Würzepfanne war. „Diese Entwicklung hat einerseits sicher damit zu tun, dass der Beruf heute durch den technologischen Fortschritt weniger kräftezehrend ist als früher, andererseits aber auch damit, dass Bier inzwischen auch zunehmend von Frauen gerne verkostet wird.“ Dies wiederum sei wohl darauf zurückzuführen, dass heutzutage eine hohe Biervielfalt vorherrscht und Biere wie guter Wein kredenzt werden, und dass man es in der Branche geschafft habe, das Biertrinken aus der Schmuddelecke zu holen. Der Effort der Brauereien für mehr Nachhaltigkeit und das Senken des Energiebedarfs sowie die neuen Entwicklungen wie das alkoholfreie Bier hätten sicher ebenfalls zur breiteren Akzeptanz des Biertrinkens beigetragen, trotz der Tendenz, dass der Pro-Kopf-Konsum eher zurückgeht.

Damit sich die bayrische Bierbranche weiterhin gut entwickelt, dafür setzt sich Josefa inzwischen auch in Gremien ein. So ist sie gewähltes Mitglied des Betriebsrates innerhalb der Firma Auerbräu, wo sie sich für die arbeitsrelevanten Angelegenheiten der 140 Mitarbeitenden einsetzt. Zudem ist sie Abgeordnete in der bayrischen Brauerei-Gewerkschaft NGG und sitzt als eines von sieben Kommissionsmitgliedern jeweils am Tisch, wenn die Tarifverhandlungen für die 12’000 Angestellten in den Brauereien des Freistaates verhandelt werden. Als Delegierte trifft sie dann auch mal hohe Politiker, zuletzt gar den deutschen Bundeskanzler Scholz aus Berlin.

Hektoliterweise 

Apropos Berlin: Kann sich Josefa, die Frau vom Land, auch ein Stadtleben vorstellen? „Freilich“, schießt es aus ihrem Mund. „Ich würde gerne mal in Berlin leben, für vielleicht sechs Monate oder so. Doch danach käme ich sicher gerne wieder heim nach Oberbayern“, lacht sie. Als Bierbrauerin und Mälzerin sei der Süden Deutschlands ein guter Ort, ihr Job sei hier sozusagen „krisenresistent“. „Das klingt vielleicht blöd, aber Bier wird halt doch immer getrunken“, weiß Josefa.

Selber eine eigene Biermarke aufzubauen, so wie das in den vergangenen Jahren im deutschen Sprachraum so viele Mikro-Brauereien taten, hat Josefa jedoch nicht im Sinn. Zwar hat sie zu Hause ebenfalls schon selber Bier gebraut, doch damit inzwischen wieder aufgehört: „Der Prozess des Bierbrauens bedeutet Arbeit und braucht viel Zeit und Leidenschaft. Hier in der Brauerei kann ich mit dem gleichen Aufwand aber gleich hektoliterweise brauen, das ist schon ein ganz anderes Gefühl.“ Dass es aber diesen Trend der vielen Klein- und Kleinstbrauereien gäbe, sei für die Branche insgesamt eine wertvolle Sache. „Jede funktionierende Brauerei ist gut, sie macht unsere Bierkultur vielfältiger“, meint Josefa. Dabei sei ihr aber wichtig zu betonen, dass die Kundschaft unbedingt regionale Biere berücksichtigen soll. Denn: „Ein Bier aus Mexiko braucht hier bei uns eigentlich niemand.“

Sagt es, drückt mir zum Abschied ein Auerbräu-Sixpack mit je zwei Flaschen Chiemseer, Rosenheimer Hellen und Spezis in die Hände und gibt mir den klugen Tipp mit auf den Weg: „Wichtig ist, dass du das Bier kühl und dunkel lagerst. Bei Licht und Wärme nimmts dir sonst den Geschmack.“ Und ein geschmackloses Bier, das will natürlich auch niemand.

MARTIN ITEN

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