Allein und doch nicht einsam
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Allein und doch nicht einsam

Im südlichen Teil der Schweiz, nördlich von Lugano, dort, wo man auf die Berge „Denti della Vecchia“, auf die „Zähne der Alten“ sieht, befindet sich das kleine Dorf Roveredo. Ein einziger Kern und ein paar Häuser die oben am Hang kleben. Dort irgendwo im Wald, ein schmiedeeisernes Tor mit einem Holzschild – „Eremo St. Croce (der Einsiedler vom Heiligen Kreuz). Bitte drei Mal klingeln und dann warten.“

Diese Reportage ist im März 2014 in der Ausgabe Nr. 1 erschienen. Melchior erscheint zweimal im Jahr. Bestell dir hier die aktuelle Melchior Ausgabe zum Kennenlernen.

Nach einem angespannten Moment der Stille raschelt der Wald und eine hochgewachsene, graubärtige Gestalt im schwarzen Mönchsgewand erscheint am Tor. Pater Gabriel lässt seine Besucher herein und verwandelt den Ort der Einsamkeit in einen Ort der Begegnung.

Für Pater Gabriel Bunge ist aussteigen (obwohl er ja selber nie so ein Modewort benutzen würde) vor allem eine Rückkehr zum Ursprung. In der Tat ist er keiner, der sich den Modetrends der Zeit unterwirft (obwohl er sich doch auch wie ein ganz gewöhnlicher Mensch über den Telefonanbieter ärgern kann), sondern er ist einer, der stets versucht, unter dem Blickwinkel der Ewigkeit zu leben. Seine Faszination für den Anfang hat nichts mit einem historischen Interesse zu tun. Den Ursprung müsse man kennen, um in der Gegenwart bestehen zu können. Die Nachfolge Christi, wenn man sie ganz ernst nimmt, bedeute immer, dass man aussteigen muss. Ins Kloster zu gehen, heißt, sich mit Christus in die Wüste zu begeben. Er selbst habe schon früh einen Ruf empfangen. Als er als junger Mensch wieder anfing, in die Kirche zu gehen, wurde an einem Sonntag das Evangelium vom reichen Jüngling gelesen. In diesem Augenblick hat der Kölner Ärztesohn, der selbst Arzt werden wollte, schlagartig begriffen, dass dieser junge, reiche Mann er selbst war. Und dass sich dieses Wort des Evangeliums sozusagen nicht anonym an die ganze Menschheit richtete, sondern jetzt, heute, in dieser Kirche an ihn, und dass er eine Antwort geben musste. Er habe spontan Ja gesagt. Und obwohl er noch nie Mönche gesehen hatte, wusste er merkwürdiger Weise, dass er dieses Ja als Mönch verwirklichen solle. Die Umsetzung dieses Vorhabens war dann aber alles andere als einfach. Mit seiner Idee ist er besonders bei seinem Vater auf enormen Widerstand gestoßen. Ein Erdbeben sei harmlos dagegen. Zeit, an seiner Berufung zu zweifeln, hat Pater Gabriel jedenfalls in den gut fünfzig Jahren, die seither vergangen sind, nie gehabt, es gab ja so viele wichtige Dinge zu tun. Die Frage, ob sein Leben keine Flucht sei, scheint ihm typisch westlich und modern. Der Mensch werde nicht mehr durch das definiert, was er ist, sondern durch das, was er tut. Wenn man jung ist, meint er mit der ganzen Weisheit eines Vierundsiebzigjährigen, dessen stahlblaue Augen noch die Wachheit eines Jugendlichen versprühen, habe man noch die Neigung sich zu rechtfertigen. Jetzt verzichte er gänzlich darauf. Jeder Mensch, der lebt, der existiert, ist, was er ist und er muss nicht zusätzlich eine von der Allgemeinheit akzeptierte Existenzberechtigung vorweisen. 

Die Nachfolge Christi, wenn man sie ganz ernst nimmt, bedeutet immer, dass man aussteigen muss.“

PATER GABRIEL BUNGE

Wer aber meint, dass Pater Gabriels Sicht auf den Menschen als immer schon angenommenes und gewolltes Kind Gottes dazu führt, dass er sich in seinem Sein gesonnt und das Tun vernachlässigt hätte, der täuscht sich gewaltig. Der russisch orthodoxe Priestermönch, ehemals Professor für Exegese, Ehrendoktor, Ehrenarchimandrit und in den Rang eines Abtes erhoben (seine Eremitage hat neuerdings die Rechtsform eines Klosters), hat die Hände nie in den Schoß gelegt, sondern er hat sich stets um sein Herzensanliegen, um den Ursprung bemüht. Weil im Ursprung, wie in einem Samen, alles schon angelegt ist. Dazu hat er zahlreiche Schriften der ganz frühen Mönche übersetzt und kommentiert. Er möchte sie aus der Versenkung holen und den Menschen zugänglich machen. Nach anfänglich großer Abgeschiedenheit, hat er auch seine Türen wieder weiter geöffnet für Menschen die Rat und Hilfe suchen. Die Besucher sind bisweilen so zahlreich, dass er seine Einsamkeit viel eher verteidigen muss, als dass er unter ihr leiden würde. Und schließlich sind Einsamkeit und Alleinsein bei Weitem nicht dasselbe. Einen Internetanschluss besitzt er nicht und ein Telefon hat er sich nur auf Ersuchen des Bischofs zugelegt. Er habe gehorcht und der Bischof bezahlt, schmunzelt Pater Gabriel in Erinnerung an diese Episode, wie über einen besonders gelungen Bubenstreich. Über seinen konkreten Tagesablauf sprechen mag er nicht, dazu ist ihm die Zeit zu schade. Er kann es nicht fassen, dass sich die Leute immer für solche biografischen Details interessieren. Das sei doch völlig nebensächlich. Seine Gedanken kreisen in der Tat um wesentlichere Inhalte. Seine Sätze zum Mönchtum, zur heiligen Schrift oder zum Weltgeschehen (er ist weit besser informiert als manch anderer Weltenbürger) sind sehr komplex, kommen immer auf den Punkt und könnten direkt als Vorlesungspapiere gedruckt werden. Nur die Frage, ob er glücklich sei, ist schnell beantwortet. Da reicht ihm ein Ja. Er habe niemals, kein einziges Mal bereut, Mönch geworden zu sein und er habe niemals bereut, hierhergekommen zu sein und dieses Leben gewählt zu haben. 

Er habe das nicht vorhersehen können, aber das gelte ja für das Leben jedes Menschen, was es da alles Schweres geben würde, zum Beispiel einen jüngeren Mitbruder zu haben, der dann schwer und tödlich erkrankt und mit 44 Jahren in seinen Händen stirbt und bis heute fehle. Es werde uns ja nie gesagt, was uns erwartet. Aber er bereue das nicht. Der liebe Gott irre sich nicht. Nie.

MAGDALENA HEGGLIN

Hol dir die ganze Printausgabe! Einfach hier bestellen zu einem Preis, den du selbst festlegst. Melchior erscheint zweimal im Jahr mit gut 80 Seiten „Auf der Suche nach dem Schönen, Wahren, Guten“.